Wochenschau … Ende August 2016

Betr.: Medienethische Gründe

 

Was die „Tagesschau“ warum verschweigt

by Vera Lengsfeld

Warum die „Tagesschau“ die  Evakuierung eines Bremer Einkaufszentrum aufgrund einer terroristischen Gefährdungslage verschweigt, wollte ein Bürger aus Bremen von der Redaktion wissen. Er schrieb deshalb folgende E-Mail:

Sehr geehrte Damen und Herren,

Am 27.7.2016 wurde aufgrund einer angenommenen terroristischen Gefährdungslage ein großes Einkaufszentrum “Weser Park” in Bremen evakuiert.

Ein – angeblich – psychisch kranker algerischer Asylbewerber, der mit den Worten “Ich spreng euch alle in die Luft” aus der Psychiatrie entkommt  wird in Bremen von der Polizei in dem Einkaufszentrum vermutet, weil ein Zeuge ihn auf einem Foto erkannt haben will. Außerdem habe sich der Mann bereits am Wochenende gegenüber der Polizei zum Amoklauf in München und dem IS-Terror geäußert.

Der Asylbewerber wird von der Polizei als selbst- und fremdgefährdend eingestuft, war drogenabhängig. Am nächsten Tag ist er wieder auf freiem Fuß, weil die Bremer Polizei auf einmal behauptet, der Algerier hätte “glaubhaft versichert” er wäre nicht im “Weser Park”-Einkaufszentrum gewesen und hätte das  alles nicht so ernst gemeint.

Und all das ist für die Tagesschau keinen Bericht wert! Wie kommt das?

Ich bitte um Antwort.

MfG

Joachim Robrecht

Und das ist die Antwort:

Sehr geehrter Herr Robrecht,

vielen Dank für Ihre E-Mail. Bitte haben Sie Verständnis, dass wir Ihnen jetzt erst antworten; uns erreichen zur Zeit sehr viele Zuschaueranfragen.

Die zurückliegenden Wochen mit zahlreichen Schreckensnachrichten haben in unserer Redaktion einen Diskussionsprozess in Gang gesetzt, in dessen Verlauf wir uns einmal mehr intensiv mit unserer Verantwortung gegenüber der Gesellschaft auseinandergesetzt haben. Wir sind dabei zu dem Schluss gekommen, uns eine gewisse freiwillige Zurückhaltung aufzuerlegen, was die Berichterstattung über Bluttaten angeht. Das hat zwei Gründe. Zum einen ist es erwiesen, dass Amok- und sonstige Bluttaten Nachahmer animieren. Die Ereignisse der vergangenen Wochen dürften diese These mit erschreckender Deutlichkeit belegt haben. Zum anderen aber entsteht bei der Bevölkerung durch die Berichterstattung über Bluttaten ein überproportionales Gefühl der Unsicherheit und Angst. Zwar steigt die Wahrscheinlichkeit, Opfer eines Terrorangriffs oder einer Amoktat zu werden, in keiner Weise an; das subjektive Sicherheitsempfinden der Menschen aber wird empfindlich gestört.

Uns ist bewusst, dass nun der Vorwurf erhoben wird, wir verschwiegen mutwillig Tatsachen. Es sei Ihnen jedoch versichert, dass wir dies wenn, dann ausschließlich aus medienethischen Gründen und aus einem Verantwortungsgefühl der Gesellschaft gegenüber tun.

Wir danken Ihnen für Ihre Anmerkungen und hoffen, dass Sie uns als kritischer Zuschauer erhalten bleiben.

Mit freundlichen Grüßen

Publikumsservice ARD-aktuell

Es war das blöde Twittern

  • übernommen aus dem Freitag Online am 26.08.2016

 

 

PHILIP OLTERMANN UND PATRICK KINGSLEY

25.08.2016 | 13:11 7

Tweet mit Eigenleben

Migration Vor einem Jahr machte eine Twitter-Meldung des Bundesamts für Migration Deutschland zur großen Hoffnung für Hunderttausende Flüchtende

Tweet mit Eigenleben

Im Spetember kamen täglich Hunderte bis Tausende über die Balkanroute nach Nord- und Westeuropa

Foto: Christopher Furlong/AFP/Getty Images

Am 25. August 2015 versendete das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) über Twitter folgenden Text: „#Dublin-Verfahren syrischer Staatsangehöriger werden zum gegenwärtigen Zeitpunkt von uns weitestgehend faktisch nicht weiter verfolgt.“ Mit 175 Retweets und 165 Likes sieht dieses Häppchen Bürokratenprosa nicht nach einem Netz-Hit aus. Und doch gilt es als das erste Social-Media-Posting, das den Lauf der europäischen Geschichte verändert hat. Denn der Tweet wurde weithin als De-facto-Aussetzung des Dubliner Übereinkommens von 1990 gelesen, dem zufolge Flüchtlinge nur in dem EU-Land einen Asylantrag stellen können, dessen Boden sie zuerst betreten.

Zu diesem Zeitpunkt hatten im Jahr 2015 über 300.000 Asylsuchende Europa per Boot erreicht – das waren schon 50 Prozent mehr als im gesamten bisherigen Rekordjahr 2014. Es ist also Unfug zu behaupten, der BAMF-Tweet habe die „Flüchtlingskrise“ ausgelöst. Wohl aber machte er Deutschland zum Hauptziel für geflohene Syrer, die zuvor eher in andere europäische Länder strebten, vor allem nach Schweden, das syrischen Kriegsopfern uneingeschränkt Zuflucht gewährte.

Auch erweckte die Meldung einen Eindruck von Verwirrung und politischem Kontrollverlust, von dem sich die Bundesregierung bis heute nicht ganz erholt hat. Ein Jahr später fragen sich Politiker und Beamte noch immer, wie es zu dem Tweet überhaupt kam.

Vier Tage zuvor, am 21. August 2015, hatte Angelika Wenzel, leitende Regierungsbeamtin beim BAMF, per E-Mail an die 36 Außenstellen der Behörde eine interne Mitteilung versandt, betitelt „Regeln zur Suspendierung des Dubliner Übereinkommens für syrische Staatsbürger“. Darin hieß es, syrische Asylsuchende in Deutschland sollten nicht mehr in die Ankunftsländer zurückgeschickt werden. Anwälte, die mit dem BAMF zusammenarbeiten, betonen allerdings, diese Entscheidung habe, anders als oft behauptet, keineswegs eine EU-weite Aussetzung des Dublin-Verfahrens bedeutet. Denn das Abkommen gibt Mitgliedsstaaten das Recht, Asylanträge aus anderen Mitgliedsstaaten zu übernehmen.

Auf welchen Kanälen Angelika Wenzels Memo an die Presse gelangte, ist weiterhin ungeklärt. Recherchen des Spiegeldeuteten auf die Hilfsorganisation Pro Asyl hin, doch nach eigenen Angaben hat Pro Asyl von dem Memo erst erfahren, nachdem Journalisten anfragten, was es zu bedeuten habe. Maximilian Pichl, Rechtsberater bei Pro Asyl, erklärt, er sei einer der vielen Anwälte gewesen, die daraufhin das BAMF mit Anrufen überschwemmten und auf eine öffentliche Erklärung drängten. Der somit erzeugte Druck auf die Behörde habe zu dem, wie die Zeit schrieb, „schicksalhaften Tweet“ geführt.

Mehr durch altmodisches Weitersagen als per Retweet verbreitete sich die Botschaft unter den Flüchtlingen, die auf dem Weg nach Europa waren oder bereits in Auffanglagern saßen. „Jetzt ist es nur ein einziges Land – Deutschland“, sagte ein syrischer Ölingenieur dem Guardian wenige Tage später auf der Balkanroute. „Wo sind die anderen? Es ist nur Deutschland. Nur Merkel.“

Die stille Post unter den flüchtenden Syrern plusterte die Meldung unweigerlich auf. „Merkel hat gesagt, sie schickt große Schiffe aus der Türkei, um Syrer zu retten“, glaubte zum Beispiel eine Syrerin, die am Wiener Hauptbahnhof befragt wurde. Bis Mitte August 2015 hatten sich 150.000 Flüchtlinge in Ungarn registrieren lassen. Nach dem Tweet weigerten sich viele und hielten stattdessen, so heißt es, den Polizisten und Grenzbeamten ihre Telefone mit dem Text der Meldung entgegen. Peter Györkös, der ungarische Botschafter in Deutschland, behauptet, am Tag nach dem Tweet habe die serbische Polizei auf ihrer Seite der Grenze Tausende weggeworfener Pässe gefunden: „Von dem Moment an war plötzlich jeder Flüchtling ein Syrer.“

Als Györkös im Bundesinnenministerium anrief, sagten ihm die Beamten dort, sie wüssten nichts von dem Tweet. Auf einer Pressekonferenz tags darauf erklärte Bundesinnenminister Thomas de Maizière, die Aussetzung des Dublin-Verfahrens sei „kein rechtsverbindlicher Akt“, sondern eine „Richtlinie für die Durchführungspraxis“.

Wenige Wochen später trat Manfred Schmidt, der Leiter des BAMF, aus „persönlichen Gründen“ zurück, wobei viele glauben, er sei zu diesem Schritt gezwungen worden, weil seine Behörde den politischen Kontrollverlust der Bundesregierung offensichtlich gemacht habe.

Ein Jahr danach lassen sich allmählich die Langzeitfolgen des Tweets überblicken. Im April gab die EU-Kommission Pläne für eine grundlegende Überarbeitung des Dublin-Systems bekannt, das von Menschenrechtlern schon lange kritisiert wird, weil es die Hauptlast der Asylverfahren auf die ärmeren Länder an der Peripherie der Union abwälzt und sich die wohlhabenden Staaten im Inneren der „Festung Europa“ damit aus der Verantwortung stehlen.

Doch BAMF-nahe Quellen betonen, der Tweet habe nicht den Zweck gehabt, das ungeliebte Gesetz zu torpedieren, sondern sei eine Notfallmaßnahme gewesen, weil das Bundesamt den Andrang sonst nicht mehr hätte bewältigen können. Gerald Knaus, der die Denkfabrik „Europäischen Stabilitätsinitiative“ leitet und für die Bundesregierung den umstrittenen „Flüchtlings-Deal“ mit der Türkei entworfen hat, versichert, der Tweet habe keine politische Wende verkünden sollen und sei auch nicht von einem hochrangigen Beamten verfasst worden: „Er stellte einfach das Offensichtliche fest – sie hatten eh schon aufgehört, Syrer zurückzuschicken – und man bedachte nicht, welche Wirkung er haben könnte. Er nahm ein Eigenleben an, weil er bestätigte, dass jeder, der nach Deutschland gelangte, bleiben dürfe. Das war keine neue Entscheidung, aber es wurde als Signal aufgefasst.“

Hinter den Kulissen, sagt Knaus, herrschte bei den Regierungsbeamten Uneinigkeit zwischen denen, die meinten, man solle die Flüchtlinge nach Ungarn zurückschicken und die deutsche Grenze schließen. Und denen, die dies als logistisch unmöglich und moralisch verwerflich betrachteten. Den Letzteren schloss sich die Bundeskanzlerin an, als wenige Wochen später Tausende von Syrern zu Fuß von Ungarn aus Richtung Deutschland aufbrachen.

KOMMENTARE (7)

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REGEN 26.08.2016 | 00:39

der Haken bei „Bürokratenprosa“ (nett formuliert) allerdings liegt in diesem Fall eines Tweets bei dem Wort „faktisch“: vmtl sollte da lediglich auf Fakten aufmerksam gemacht werden.

Wie unvorbereitet man da auf offenkundig wirken könnende mißverständnisbehaftete Lesarten reagiert hatte dürfte viele überrascht haben.

Indes wurden auch damit neue Fakten geschaffen von denen man vmtl bis heute noch nicht zu wissen scheint mit welchen Konsequenzen sie behaftet sein könnten.

Allein schon „Regeln zur Suspendierung des Dubliner Übereinkommens für syrische Staatsbürger“ scheinen darauf hinzudeuten wie brüchig „Übereinkommen“ selbst in der EU in 2016 zu wirken scheinen.

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MEINE MEINUNG 26.08.2016 | 13:20

Da kann man nur sagen Schabowski 2.0. Regierungen werden überrollt, wenn sie die Zeichen der Zeit nicht sehen oder nicht sehen wollen und auch sonst in Lethargie ob ihrer Handlungsfähigkeit verfalllen sind. Es hatte mich als Interessierten Bürger immer schun gewundert, warum sich die Randstaaten der EU die Fluechtlingsprobleme von den Kernstaaten aufs Auge haben drücken lassen.

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RITA 26.08.2016 | 14:47

Bevor ich alle Brücken abbreche informiere ich mich. Das Deutschland kein Einwanderungsland ist wussten schon Türken und Jugoslawen. Sie sind seit 60 Jahren in Deutschland und immer noch nicht wirklich integriert.

Wer heute Syrien Egypten oder anderen islamischen Ländern hier Asyl sucht muß als suspekt angenommen werden. So dumm kann kein Mensch sein.